Die Arena - aus "Skarabäus"

Es war eine Arena. Sie war zerstört. Man sah noch gut, wie sie einst ausgesehen haben musste. Die Tribünen waren fast gänzlich zerstört und die Steine lagen auf dem Boden herum. Der Arenaplatz war begehbar und weitestgehend frei von Geröll. Skarabäus ging langsam auf dem Platz umher und besah sich alles. Das Wesen blieb mitten auf dem Platz stehen und sah Skarabäus an.

 

„Wer kämpfte hier?“, fragte Skarabäus die Figur, doch sie grinste nur.

 

Sie warf Skarabäus eine Art Stock vor die Füße, doch Skarabäus hob ihn nicht auf und sagte: „Hier wird nicht mehr gekämpft.“

 

„Oh doch!“, sagte das Wesen und Skarabäus sah Wut in ihren Augen, aber auch … Zerstörungswille.

 

Das Wesen selbst hielt nichts in der Hand. Man sah ihre Hände gar nicht, da sie einen Umhang trug.

 

„Die Tribünen sind leer“, sagte Skarabäus, „es gibt keine Zuschauer mehr.“

 

„Das ist egal!“, sagte das Wesen, „es geht nicht um andere! Es geht um Dich und um mich!“

 

„Wer bist Du?“

 

Diese Frage bewirkte irgendetwas in diesem Teil des Merkunwürdigen Waldes, denn plötzlich kam ein stärkerer Wind auf.

 

Skarabäus selbst spürte Wut in sich. Er war es leid, Rätselrater zu sein.

 

„Wer bist Du?“, fragte er nochmals etwas schärfer.

 

„Ich bin Du!“.

 

„Nein.“

 

Das Wesen lachte und sagte: „Doch!“, dabei nickte es.

 

Skarabäus hob den Stock auf und warf ihn von sich, während er sagte: „Ich kämpfe nicht gegen mich selbst.“

 

„Wir werden sehen!“, sagte das Wesen und wich zurück.

 

Skarabäus bewegte sich nicht und betrachtete nur, wie das Wesen weiter zurück wich.

 

„Mehr könnt ihr nicht? Kindern Angst einjagen und zurückweichen. Ist das alles?“, fragte er, doch das Wesen antwortete nicht und verschwand.

 

 

 

Danach folgte eine lange Phase des stillen Nachdenkens. Skarabäus setzte sich auf den Boden neben Geröll und dachte nach. Es wurde dunkler und dann wurde es Nacht. Er schlief ein, angelehnt an einen etwas größeren Stein. Er empfand positive Müdigkeit, keine Erschöpfung.

 

Er schlief ein und als er aufwachte, wusste er nicht, wie spät es sein könnte. Skarabäus dachte darüber nach, wie es nun weiter ging und da kam ihm der Gedanke, dass er hier auch liegen bleiben könnte, für immer. Bis vielleicht irgendetwas passierte. Er seufzte leise und stand dann doch auf. Mit gefühlt angestrengten Augen sah er um sich und verließ dann den Arenaplatz.

 

Sein Blick war weitestgehend gen Boden gerichtet, während er weiter ging. Hie und da blieb er stehen und besah sich einen Stein. Grau wurde es, als gäbe es keine hellen Farben mehr. Dann blieb er stehen und sah zurück, während er dachte:

 

Ich habe es bis in den Merkunwürdigen Wald geschafft aber ich fühle mich nicht so, als hätte ich ein Ziel erreicht. Egal wo ich hingehe, ich treffe auf sonderbare Gestalten, auf Angst und graue Töne. Ich konnte durch den Bannkreis hindurch gehen und fand dort Gestalten, die Angst haben oder sich in Umhänge hüllen. Ich treffe einen alten, verbitterten Mann, einen reimenden Vogel und stoße auf eine zerstörte Arena, in der ich kämpfen soll. Wo soll das hinführen? 

 

Skarabäus sah wieder vorwärts und sagte laut mit einigen Unterbrechungen:

 

„Wann endet das? Wie lange soll ich noch gehen? Ich weiß schon gar nicht mehr, weshalb ich hier bin. Ich wollte ein Abenteuer und sehe keinen Sinn mehr darin, hier zu sein.“

 

Skarabäus stand wie versteinert dort. Er empfand Verzweiflung. Ein paar Mal zuckte er mit den Schultern und schüttelte leicht den Kopf, als wolle er sagen: Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.

 

Seinen Körper fühlte er gar nicht richtig. Er war wie abgeschnitten von ihm. Und dann wurde ihm die Dimension seiner Einsamkeit derart bewusst, dass es ihm die Luft abschnitt und er felsenfest davon überzeugt war, dass er an diesem Gefühl, welches wie ein Messer in sein Herz gerammt wurde, sterben würde. Skarabäus sah gehetzt um sich, doch nirgends gab es Halt, nirgends gab es die Möglichkeit, Hilfe zu erhalten. Er hätte nicht gewusst, welche Hilfe er bräuchte, wenn jemand da gewesen wäre. Er wusste nur, dass er dieses schreckliche Gefühl in dieser Heftigkeit auf keinen Fall spüren wollte. Er durfte es nicht! Denn es würde ihn umbringen. Er war sich ganz sicher: Wenn er die Tür zu diesem Gefühl auch nur einen spaltbreit öffnen würde, würde ihn eine Flut der Einsamkeit überrollen und nichts, aber auch wirklich gar nichts von ihm übrig lassen.

 

Skarabäus war außerstande, weiter zu gehen. In unmittelbarer Nähe lag ein großes Stück Stein, herrührend von der zerstörten Arena, herum; er kniete sich nah an diesen Stein, schlug die Hände vor das Gesicht und ließ die Welle der Einsamkeit über ihn rollen. Er war sich sicher, dass das sein Tod sein würde, aber er sah keine Möglichkeit, diesem zu entfliehen.

 

Es war schrecklich. Plötzlich war sein Körper wieder präsent und er fühlte eine starke Anspannung insbesondere in den Schultern. Niemals in seinem Leben hatte er eine derartige Heftigkeit des Gefühls gespürt. Vergangene Bilder drangen in sein Bewusstsein und verstärkten das Gefühl noch. Er war nicht mehr in der Realität, er vergaß Ort und Zeit, von außen drang nichts mehr zu ihm durch.

 

Dieser Zustand hielt länger an und das Gefühl brach sich wellenartig Bahn. Mal war es stärker, mal schwächte es fast gänzlich ab. Manchmal mischten sich auch Trauer oder Angst hinein. Und als sich keine stärkere Gefühls-Welle mehr in seinem Körper ausbreitete, wurde er etwas ruhiger und nahm die Hände vom Gesicht.

 

 

 

Als Skarabäus langsam wieder in die Realität zurückfand, wusste er, dass das nur ein Tropfen dessen gewesen war, was noch an Einsamkeits-Gefühl in ihm gespeichert war. Dennoch: Auch wenn er nicht alles an Einsamkeit, die in ihm präsent war, gefühlt hatte, fühlte er sich ein stückweit befreiter. Er stellte fest, dass dieses Gefühl schon immer in seinem Leben gewesen war, er dies aber stets verdrängt hatte. Es ging nicht darum, dass er heute, in diesem Moment einsam war, sondern darum, dass dieser Jetzt-Moment das Gefühl, das schon ewig in ihm war, ausgelöst hatte. So langsam begriff er, was es bedeutete, die Reise in den Merkunwürdigen Wald anzutreten: Es bedeutete, sich kennen zu lernen, und zwar in jeder Hinsicht. Skarabäus hatte erlebt, dass er mutig und ängstlich ist, dass er traurig und zuversichtlich ist, dass er gerne für sich alleine ist und fürchterliche Einsamkeit in sich trägt.

 

 

 

Er blickte angelehnt an den Stein ins Weite und nickte fast unmerklich. Nun hatte er es verstanden. Etwas Entspannung durchzog seinen Körper. Er atmete tief ein und beschloss, ein wenig weiter zu gehen. Langsam. Ruhig. Er hatte Zeit. Endlich … dachte er … habe ich Zeit.

 

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