Was ich nicht mehr lesen kann

Meine Güte, was habe ich viel Schund gelesen! Und meine Güte, wie viel Schund habe ich auch selbst geschrieben.

Es gab eine Zeit, in der war ich begeistert, bestürzt, emotional mitgerissen, wenn ich Schiller, Goethe, Dumas, Mann, Hesse, Storm oder auch weniger bekannte Autoren las. Die „Großen“ der Weltliteratur sollten es sein. Und die Großen habe ich gelesen, verschlungen, geliebt.

Seitdem ich mich damit beschäftige, zwischen realen Jetzt-Gefühlen und vergangenen Gefühlen zu unterscheiden, kann ich den Kram nicht mehr lesen.

Seitdem ich durchschaut habe, was schwarze Pädagogik ist, kann ich den Kram nicht mehr lesen.

Seitdem ich durchschaut habe, dass jeder Mensch seine Lebensmuster selbst inszeniert und dass jeder für seine Situation in den allermeisten Fällen selbst verantwortlich ist, kann ich den Kram nicht mehr lesen.

Seitdem ich mich befreien möchte von Illusionen und irgendeinem Schein-Halt, kann ich den Kram nicht mehr lesen.

 

 

Beispiele:

 

Nehmen wir das bekannte Buch „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann. Was für ein schreckliches Buch! Wer will so leben? Das hat doch mit Leben nichts zu tun. Während meiner Jetzt-Entwicklung beschloss ich, mal zu schauen, was ich mir an Literatur noch antun kann, was ich noch ertrage. Ich habe festgestellt, dass „Die Buddenbrooks“ das Letzte ist, was ich noch ertragen kann. Ich hatte mal eine Verfilmung des Buches, die sah ich mir nochmal drei oder vier Mal an: Abstoßend! Ich wollte wissen, warum das so unerträglich geworden ist:

 

a)      Ich sehe nur Menschen, die sich in eine Rolle zwingen und diese bis zu ihrem Lebensende nicht verlassen.

 

b)      Ich sehe nur Menschen, die kein Leben leben – ihre Existenz ist traurig, oktroyiert, leer, oberflächlich.

 

c)       Ich sehe Menschen, die Kinder schlecht behandeln.

 

d)      Ich sehe Menschen, die ausgestopft sind.

 

 

Die einzige Figur in dem Szenario, die mir halbwegs erträglich ist, ist Christian Buddenbrook, der letztendlich in der Psychiatrie landet. Na, klar, wie auch nicht? Christian konnte sich nicht erlösen. Ich gehe sogar weiter: Womöglich hat er all den Wahnsinn, der in der Familie präsent war, in sich aufgenommen und wurde deshalb krank.

Die Buddenbrooks? Kannste in der Pfeife rauchen! Weg damit. Brauche ich nicht mehr.

 

Goethe. Ach, Du liebe Zeit! Nichts gegen die Reimbrillanz, ganz und gar nicht. Aber der Inhalt? Meine Güte, schwulstiger geht es nicht: „Ein Blick von Dir, ein Wort mehr unterhält als alle Weisheit dieser Welt“ (Faust I) … ja ja, ist klar. Und der arme Werther. Nein, er kann nicht leben ohne sein Weiblein, welches seine Liebe nicht erwidert. Ja, Liebeskummer ist schrecklich, gewiss. Aber dass wir nicht mehr leben können ohne den anderen, ist eine Illusion. Eine Kinderillusion. Weg damit. Brauche ich nicht mehr.

 

Daniel Defoe „Robinson Crusoe“. Vor ein paar Wochen wollte ich mal etwas lesen, worüber ich mich freuen kann, was vielleicht ein wenig spannend ist. Nach wenigen Seiten musste ich den Scheiß weglegen. Gott hier, Gott da … und hätte der dumme Robinson doch auf seinen Vater gehört. Ja, ja … weg damit. Brauche ich nicht mehr.

 

Vor ein paar Jahren stieß ich auf ein Buch namens „Außenseiter der Gesellschaft“ von Warwick Deeping (den wird kaum jemand kennen). Ich war ganz begeistert. Vor einiger Zeit wollte ich das Buch nochmal lesen und kam an eine Stelle, an der schwarze Pädagogik gepredigt wurde. Zum Kotzen. Weg damit. Brauche ich nicht mehr!

 

Alexandre Dumas! Hach, einer meiner früheren Lieblingsautoren. „Napoleon“ habe ich verschlungen (mag auch daran liegen, dass Napoleon Bonaparte eines meiner Spezialinteressen ist), „Der Graf von Monte Christi“ – großartig, liebte ich, in zwei Tagen habe ich es durchgelesen. Und nun: „Die drei Musketiere“. Ach, Du Scheiße! Nur theatralisches, histrionisches Gebaren. Nee, danke. Weg damit. Brauche ich nicht mehr.

 

Das war nur eine kleine Auswahl.

 

Was ich überhaupt noch lesen kann sind a) Fachbücher, b) manche Kinderbücher, c) alles zu meinen Spezialinteressen: Napoleon, Nietzsche, Transaktionsanalyse und d) solche Bücher wie die von Alice Miller, wobei das durchaus unter Fachbücher (Psychologie) fällt. Tolkien lese ich momentan und ich hatte nicht ein Mal den Eindruck, es weglegen zu müssen, weil es unerträglich ist, im Gegenteil.

 

Ja, so etwas geschieht, wenn man anfängt, ein wenig hinter die theatralische Fassade zu schauen. Auch meine Bücher sind oft so geschrieben, aber mein Schreibstil hat sich schon längst verändert. Diesen Preis habe ich für meine Entwicklung bezahlt. Zu Anfang dachte ich, ich könne nun gar nicht mehr schreiben, aber ich stelle fest, ich kann anders schreiben. Und das, was ich in meinem „Skarabäus“ schreibe, ist der Schreibstil, in dem es weiter geht. Er ist noch nicht ausgereift aber das wird schon.

 

Aber all den anderen Kram … den kann ich nicht mehr lesen! Weg damit. Brauche ich nicht mehr.

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