Niemals

Sie hatte geglaubt, dass es einen Unterschied machen würde. Ob sie erfolgreich oder nicht erfolgreich war, ob sie etwas für andere bedeutete oder nicht. Sie hatte gedacht, es würde irgendeinen Unterschied machen. Es würde sie vielleicht zufriedener auf ihr Leben blicken lassen oder gar freundlicher auf sich selbst. Sie hatte geglaubt, dann würde sie sich nicht mehr geißeln, nicht mehr selbst quälen, könnte sich nun etwas ausruhen, müsste nicht rastlos bedenken, was noch zu tun war, um diesen Status zu halten.

Aber nun wusste sie: Je mehr sie danach strebte, ihre innere Leere zu füllen, desto abgebrannter blieb sie zurück.

Sie hatte es versucht.

Und manchmal ist es sinnvoller, ein Schlachtfeld als verloren anzusehen, als im sinnlosen Kampf weiterzumachen. Aber wie schmerzte dieses Bedenken. Sie sah sich um: Brach und grausam lag das verlorene Land. Im Inneren hörte sie andere lachen … sie auslachen. Und in ihr war eine Rachsucht, die nicht zu messen war. Doch jene, die lachten, waren nicht hier. Sie wussten nichts von dieser Schlacht. Sie waren daheim geblieben – in ihren bequemen Sesseln, hinter ihren Fassadensteinen, hinter ihrem Geschwätz aus abgefuckten Lügen, hinter ihren Floskeln und Phrasen. Feiglinge. Versager.

 

Was ging denen schon ihr Krieg an, nicht wahr?

Was hatten sie schon ganz vorne zu suchen?

Da, wo kein Schutz mehr ist. Da, wo Angst und Trauer den Körper lähmen, den Blick schärfen und den Puls im Auge sehen lassen?

Eine Angst … die so tief war, dass eine Genesung fragwürdig.

Eine Trauer … die so gleichbleibend floss wie Blut in den Adern, dass es kein Entrinnen gab.

 

Octavie wandte ihren Blick nach vorne. Die Alternative zum Weitermachen war klar. Und Sehnsucht nach dem Ende ergriff ihr Herz.

Nicht einen hatte sie hier getroffen.

Lauter Feiglinge lachten über sie. Sie, die den Weg ging, den keiner sich traute zu gehen.

Feiglinge, die sich nicht aufgemacht hatten, um sich selbst zu finden.

Feiglinge, die sich mit dem zufrieden gegeben hatten, was ihnen ihre leiblichen Eltern erlaubt hatten.

Feiglinge, die von Ferne andere bewerteten und nicht bemerkten, dass sowas auch Bewertung über sich selbst ist.

Feiglinge, die der Frage, was hinter jenen Bergen lag, nicht nachgegangen waren.

Octavia war traurig.

 

Sie hatte versucht, akzeptiert zu werden, aber sie hatte es nicht geschafft. Die Anforderungen waren nicht erfüllbar. Waren niemals erfüllbar. Sie hätte von Kopf bis Fuß eine gänzlich andere sein müssen – sie hätte sich zuvörderst zerstören müssen, um sich vollkommen umzugestalten. Aber auch dann wäre es sinnlos gewesen: Menschen akzeptieren andere nur, wenn sie sich selbst akzeptieren.

 

Ihre Trauer war fühlbar in der Herzgegend. Unangenehm, wie hohl. So, als würde etwas Zerstörtes nie wieder heilen. Es tat körperlich weh. Und dennoch war es gut so. Sie befürwortete es, denn dadurch sah sie klarer, kannte sie ihren Weg besser, konnte sie weitermachen.

Es ist gut, zu sehen, dass nichts an einem akzeptiert wird, dann lässt es sich leichter gehen. Octavia wünschte sich, sie hätten es deutlicher gesagt. Sie hätten es nicht so sehr versteckt und sie schleichend vergiftet. Sie wünschte sich, sie hätten ihr direkt den Krieg erklärt und wären nicht in einer nebligen Nacht aufgetaucht und hätten Bomben werfen lassen.

 

Aber wie es auch sei … Octavia blickte nach vorne und sah ihren besten Offizier. Er war handlungsbereit und wartete nur auf ein Zeichen ihrerseits. Sie brauchte nur nicken und die Welt würde untergehen. Sie brauchte nur eine Hand heben und er würde sich in Bewegung setzen, immer Richtung Feind, bis dieser ausgelöscht, vernichtet war.

Es mochte irgendwann … irgendwann nichts auf ihrem Grabstein stehen, kein Datum, kein Name, nur zwei Worte: Die Kriegerin.

 

Octavia sah ihren besten Offizier an und nickte. Ihre Hände, die ein Gewehr hielten, zitterten leicht, doch das hatte nichts mit ihrer Entschlossenheit zu tun. Wenn sie sich ein Mal entschieden hatte, dann war es entschieden. Mochte auch die ganze Welt gegen sie stehen.

 

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Buch: Abgewrackt

Der Protagonist: Immanuel Steiner.

Immanuel sucht sich selbst und begegnet seinen Abgründen: Sex, Gewaltphantasien, zu viel Alkohol, der Sadist Scarpia. Er schaut in seine Vergangenheit: Überforderte Systeme, unsinnige Therapien mit hilflosen Therapeuten, nutzlose Gespräche. Immanuel ist nicht aus einem Guss, er ist manchmal umständlich, unangenehm, teils kompliziert, dann wieder plump und simpel, sehr oft introvertiert.

 

Er probiert aus - scheitert, macht weiter. Verzweiflung, Angst, Hoffnungslosigkeit. Und doch oder gerade deswegen: Veränderung.

 

Manchmal treibt er sich in Bars rum, in Absteigen. Trinkt Whiskey, hat Sex mit Frauen, die dafür Geld nehmen. Manchmal denkt er daran, sein Leben zu beenden, macht es aber nicht. Immanuel - das schwarze Schaf der Familie. Nein, keine Abrechnung damit. Vonseiten des Autors eine Betrachtung aus der Entfernung. Mit dem Sadisten Scarpia lebt er seinen Selbsthass aus.

Irgendwann verändert sich was. Immanuel lernt andere Methoden kennen, traut sich, sich im Spiegel anzuschauen.

"So eine Geschichte ist nie fertig", schreibt die Autorin im Vorwort. "Man ist nicht irgendwann fertig mit sich."

 

Deshalb gibt's auch kein paradiesisches Ende, sondern den Beginn einer Veränderung, einen ersten Schritt.

Ein Buch für die, die Klartext mögen. Kein Buch für die, die ein romantisches Happy End wollen. Immanuel ist "ungeschönt" und er sieht die Welt ungeschönt.

 

Buchtitel: Abgewrackt.

Autorin: Madelaine Kaufmann.

ISBN: 978-3749465354.

172 Seiten.

Taschenbuch: 9,99 Euro; E-Book: 5,49 Euro.

 

Unter anderem bei Amazon mit Leseprobe: Amazon

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Buch "Abgewrackt"

Mein neues Buch “Abgewrackt” kann man nun erwerben.
Es ist anders als meine vorherigen Bücher. Dieses ist roher, klartextiger, deutlicher - auch provokant ... und manchmal vllt. etwas grenzwertig.
Alkohol, Sex, Tod, Entwicklung, Therapie - sowas kommt darin vor. Und es gibt nur eine “ausgeleuchtete” Person: Immanuel Steiner.

Ich habe für euch ein paar Auszüge zusammengestellt:
  • Er hatte keine Freunde, mit denen er ausging, Poker spielte, über Frauen herzog oder über den Chef. Er hatte keine feste Freundin, mit der er sich stritt. Er hatte sehr wenig Interesse an Sozialkontakt. Natürlich war das bislang für jeden, dem er das gesagt hatte, etwas Krankes; etwas, was behandelt werden musste – aber wenn Immanuel sich anschaute, wie andere mit ihren Sozialkontakten umgingen, was die mit denen machten und über was sie sprachen, zweifelte er daran, dass er der Kranke war.
  • Er trank Whiskey und hatte Sex mit irgendeiner Blonden, die ihm mittelmäßig gefiel. Danach fühlte er sich leer und vergiftet, als hätte er eine Überdosis von etwas genommen. Noch nie hatte er das in dieser Situation gefühlt. Plötzlich war ihm alles hier widerlich, als hätte er sich prostituiert. Nichts von all dem war erfüllend oder angenehm, es war … hohl, leer, traurig, einsam.
  • Die Frau ging auf diesen Mann zu und ließ sich kräftig von ihm drücken; es war eindeutig, dass sie ihn attraktiv fand, und es war weiter deutlich, dass andere gerne in der Nähe dieses Mannes waren, während Immanuel diese Tatsache noch verblüffender fand als alles andere, denn: Ja, sahen die denn nicht, dass er ein Sadist war?
    (...)
    Immanuel ekelte sich einerseits vor diesem Sadisten, andererseits wurde er von ihm angezogen wie die Motten vom Licht. Einerseits wollte er sich nicht auf die gleiche Ebene dieses Mannes begeben, andererseits wollte er gerade das, um als gleichwertig erachtet zu werden
  • Manchmal machten sie Entspannungsübungen mit Phantasiereisen, doch jedes Mal, wenn der Therapeut aufforderte, er solle einen Ort in seinem Inneren suchen, der friedlich sei, fand er keinen.
    Ja … er fand keinen.
    Weil er sich selbst nicht fand.
    Und er fand schon gar nichts Friedliches.

    Und alle sagten, dass sie sich so verstanden und angenommen fühlten; sie sagten ihm, er müsse sich darauf einlassen, er blockiere sich, er wende Abwehrmechanismen an, und in seinem Inneren hörte er immer wieder seine eigene Stimme: »Das soll es sein? Es muss doch etwas anderes geben!«
    Etwas anderes als das Sitzen und Reden. Etwas anderes als die in die Leere gehenden Fragen, die er hatte. Etwas anderes als das gegenseitige Übertrumpfen in Gruppentherapien, wem es nun am schlechtesten ging.

    Immanuel bekam mit, wie Leute aus Verzweiflung Suizid begingen; wie auch sie etwas suchten, es nicht fanden und deshalb einen Schlussstrich zogen. Diese ständigen therapeutischen Gespräche, wabernd an der Oberfläche; Psychologen, die er mit schlichten Fragen verunsichern konnte, weil sie selbst nie tiefergehende Therapie gemacht hatten. Psychologen, die ihm dann Widerstand, Blockade, Dissozialität und Ambivalenz unterstellten, wenn er es wagte, sie zu testen.
    Allen gemeinsam dieselbe ungelöste Angst vor tieferen Gefühlen; die einknickten, wenn es mal etwas lauter und intensiver zuging. Denen es nur darum ging, den Patienten einen Diagnosestempel aufzudrücken, bevorzugt aus dem Bereich der Persönlichkeitsstörungen.

    Sie verstanden nicht, wenn er schwieg, dann dachten sie, er verweigere sich, aber Immanuel brauchte lange Ruhephasen. Sie behaupteten, dass er spontan etwas entscheide, aber seine Entscheidungen waren immer gefällt nach einem langen, langen Prozess. Und wenn die Entscheidung stand, dann wurde sie durchgezogen. Sie war beschlossen, mehr gab es nicht zu denken, nicht mehr zu fühlen – wenn eine Entscheidung stand, dann stand sie, und den Prozess dieser Entscheidung bekam niemand mit. Und die Durchführung war nicht zu erschüttern.
U.a. hier zu erwerben:für 9,99 Euro:

BoD-Buchshop
Amazon
Autor: Madelaine Kaufmann
Buch: Abgewrackt
172 Seiten
Buch für 9,99 Euro.
E-Book für 5,49 Euro.

ISBN: 978-3749465354
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Der Wächter des Plumpsacks

Skarabäus traf eine etwas bedrohlich aussehende Person. Sie trug dunkle Kleidung, hatte dunkles, leicht wirres Haar (ein wenig wie er selbst) und beobachtete jede Bewegung Skarabäus‘ als dieser näher kam. Skarabäus sah, dass sich hinter der Person ein Berg befand, der fast schwarz war. Da er von Ferne nicht sehen konnte, was das für ein Berg war, kam er näher. Er war circa 10 Meter hoch.

Die Person ging einen Schritt auf Skarabäus zu und sagte streng: „Halt!“, während er eine Hand ausstreckte wie ein Polizist. Skarabäus blieb stehen und sah der Person in die Augen: Sie waren ebenfalls dunkel. „Warum?“, fragte Skarabäus.

„Niemand darf dem Berg zu nahe kommen.“ Der Typ ließ die Hand wieder sinken.

„Was passiert, wenn ich ihm zu nahe komme?“

„Jeder, der ihm zu nahe kommt, muss sterben.“

„Warum?“

Der Typ wirkte kurz verwirrt und sagte wieder: „Niemand darf dem Berg zu nahe komme.“

„Aber ich bin der Wächter dieses Landes!“, sagte Skarabäus streng.

„Und ich bin der Wächter des Berges!“, sagte der Typ im gleichen Tonfall zurück.

Skarabäus sah an der männlichen Person vorbei und sagte: „Das ist doch kein Berg. Ich habe noch nie einen Berg in dieser Farbe gesehen.“

„Das ist unerheblich.“

„Schau Dir diesen Berg doch mal an, der ist doch ungewöhnlich.“

„Das geht nicht. Ich darf mich nicht umdrehen.“ Skarabäus dachte erst, das wäre ein Spaß, aber der Typ war so ernst wie sonst was

„Warum nicht?“

Auf diese Frage antwortete er nicht.

„Wie hoch ist denn dieser Berg?“, fragte Skarabäus.

„Zwei Meter“, sagte der Typ.

Skarabäus zog die Augenbrauen hoch.

„Entweder hast Du ein anderes Maß als ich oder der Berg ist gewachsen.“

„Gewachsen?“, fragte die Person nun.

„Ja.“

„Wie hoch ist er denn Deiner Meinung nach?“

„Circa 10 Meter.“

Die Person wurde blass im Gesicht, sagte aber nichts.

Skarabäus ging noch einen Schritt weiter. Wieder sagte der Typ: „Halt!“

Skarabäus war nun ein wenig wütend. „Ich bin der Wächter dieses Landes und ich befehle Dir, mich vorbei zu lassen!“

„Ich habe den Befehl, niemanden vorbei zu lassen.“

„Von wem?“

„Von allen, die diesen Berg angelegt haben.“

Skarabäus überlegte, wie er diesen Typen dazu bringen könnte, ihn vorbei zu lassen. Er sagte: „Fassen wir also zusammen: Du musst irgendeinen Berg bewachen, der anscheinend gewachsen ist, den Du aber nicht anschauen darfst. Du kannst mir nicht genau sagen, von dem Du diesen Befehl erhalten hast – Du hinterfragst das also nicht. Du glaubst daran, dass Du das tun musst, weil die, die dem Berg zu nahe kommen, sterben müssen. Du stehst hier tagein tagaus und bewachst etwas. Du fragst Dich nicht, warum, fragst Dich nicht, weshalb man sterben sollte, fragst Dich nicht, ob diese Aufgabe irgendeinen Sinn hat. Ist das richtig?“

Der Typ dachte wieder nach und wirkte etwas verunsichert.

Während er das tat, setzte Skarabäus hinzu: „Ich schaue mir das jetzt an. Du hast mich gewarnt, danke dafür, aber ich lasse mich nicht länger zurückhalten!“ Der Typ hielt ihn tatsächlich nicht mehr zurück und Skarabäus ging an ihm vorbei, um sich den Berg anzuschauen.

 

Er stellte sich vor ihn hin und sah hinauf. Er wirkte riesig. Skarabäus sah, dass der Berg nicht aus Stein war, sondern aus Säcken. Er griff nach einem Sack. Er war dunkelbraun und mit einer Kordel zugeknotet. Im Inneren dieses Sacks war kein Gegenstand, nur ein Gefühl. Es war eines der Gefühle, welches er sehr gut kannte: Angst.

Skarabäus flüsterte vor sich hin: „Ich verstehe“, dann warf er den Sack wieder auf den Haufen und ging zu dem Typ zurück, der bleich im Gesicht war und sich nicht umgedreht hatte.

 

Er sagte zu ihm: „Du bist nicht der Wächter des Berges, Du bist der Wächter des Plumpsacks. Besser gesagt: Der Plumpsäcke. Das, was Du hier bewachst, sind mit Gefühlen abgefüllte Säcke, die andere hier abgeladen haben, um diese Gefühle nicht zu spüren. Diese Menschen haben Dir eingeredet, dass Du und andere sterben werdet, wenn ihr euch dem nähert, weil sie glauben, dass Gefühle töten. Aber Gefühle töten nicht. Am Anfang war dieser Berg womöglich zwei Meter hoch, nun ist er gewachsen.“

Der Typ legte die Stirn in Falten und dann tat er etwas, was Skarabäus nicht erwartet hätte. Er drehte sich um und sah sich den Plumpsack-Berg an.

Skarabäus sagte: „Du brauchst diesen Berg nun nicht mehr bewachen.“

„Ich weiß nicht, was ich sonst tun soll“, sagte die Person.

Skarabäus sah ihn an und sagte: „Geh schlafen.“

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Der Riss im Boden

Ich sah in mein Inneres

Und da war ein Riss im Boden.

Trockene, aufgebrochene Erde

Überall.

Ich sah in die Welt

Und da war alles wie immer.

Menschen und Stimmen

Überall.

 

 

Ich dachte mir:

„Seht ihr nicht meinen Riss im Boden?“

Und ich wusste:

Sie haben ihren eigenen Riss.

Sie wollen ihn nicht sehen.

Deshalb sehen sie meinen nicht.

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Bild für "Skarabäus"

Natürlich gehören zu meinen Skarabäus-Geschichten auch Bilder.

Danke an Julia!

Was ich nicht mehr lesen kann

Meine Güte, was habe ich viel Schund gelesen! Und meine Güte, wie viel Schund habe ich auch selbst geschrieben.

Es gab eine Zeit, in der war ich begeistert, bestürzt, emotional mitgerissen, wenn ich Schiller, Goethe, Dumas, Mann, Hesse, Storm oder auch weniger bekannte Autoren las. Die „Großen“ der Weltliteratur sollten es sein. Und die Großen habe ich gelesen, verschlungen, geliebt.

Seitdem ich mich damit beschäftige, zwischen realen Jetzt-Gefühlen und vergangenen Gefühlen zu unterscheiden, kann ich den Kram nicht mehr lesen.

Seitdem ich durchschaut habe, was schwarze Pädagogik ist, kann ich den Kram nicht mehr lesen.

Seitdem ich durchschaut habe, dass jeder Mensch seine Lebensmuster selbst inszeniert und dass jeder für seine Situation in den allermeisten Fällen selbst verantwortlich ist, kann ich den Kram nicht mehr lesen.

Seitdem ich mich befreien möchte von Illusionen und irgendeinem Schein-Halt, kann ich den Kram nicht mehr lesen.

 

 

Beispiele:

 

Nehmen wir das bekannte Buch „Die Buddenbrooks“ von Thomas Mann. Was für ein schreckliches Buch! Wer will so leben? Das hat doch mit Leben nichts zu tun. Während meiner Jetzt-Entwicklung beschloss ich, mal zu schauen, was ich mir an Literatur noch antun kann, was ich noch ertrage. Ich habe festgestellt, dass „Die Buddenbrooks“ das Letzte ist, was ich noch ertragen kann. Ich hatte mal eine Verfilmung des Buches, die sah ich mir nochmal drei oder vier Mal an: Abstoßend! Ich wollte wissen, warum das so unerträglich geworden ist:

 

a)      Ich sehe nur Menschen, die sich in eine Rolle zwingen und diese bis zu ihrem Lebensende nicht verlassen.

 

b)      Ich sehe nur Menschen, die kein Leben leben – ihre Existenz ist traurig, oktroyiert, leer, oberflächlich.

 

c)       Ich sehe Menschen, die Kinder schlecht behandeln.

 

d)      Ich sehe Menschen, die ausgestopft sind.

 

 

Die einzige Figur in dem Szenario, die mir halbwegs erträglich ist, ist Christian Buddenbrook, der letztendlich in der Psychiatrie landet. Na, klar, wie auch nicht? Christian konnte sich nicht erlösen. Ich gehe sogar weiter: Womöglich hat er all den Wahnsinn, der in der Familie präsent war, in sich aufgenommen und wurde deshalb krank.

Die Buddenbrooks? Kannste in der Pfeife rauchen! Weg damit. Brauche ich nicht mehr.

 

Goethe. Ach, Du liebe Zeit! Nichts gegen die Reimbrillanz, ganz und gar nicht. Aber der Inhalt? Meine Güte, schwulstiger geht es nicht: „Ein Blick von Dir, ein Wort mehr unterhält als alle Weisheit dieser Welt“ (Faust I) … ja ja, ist klar. Und der arme Werther. Nein, er kann nicht leben ohne sein Weiblein, welches seine Liebe nicht erwidert. Ja, Liebeskummer ist schrecklich, gewiss. Aber dass wir nicht mehr leben können ohne den anderen, ist eine Illusion. Eine Kinderillusion. Weg damit. Brauche ich nicht mehr.

 

Daniel Defoe „Robinson Crusoe“. Vor ein paar Wochen wollte ich mal etwas lesen, worüber ich mich freuen kann, was vielleicht ein wenig spannend ist. Nach wenigen Seiten musste ich den Scheiß weglegen. Gott hier, Gott da … und hätte der dumme Robinson doch auf seinen Vater gehört. Ja, ja … weg damit. Brauche ich nicht mehr.

 

Vor ein paar Jahren stieß ich auf ein Buch namens „Außenseiter der Gesellschaft“ von Warwick Deeping (den wird kaum jemand kennen). Ich war ganz begeistert. Vor einiger Zeit wollte ich das Buch nochmal lesen und kam an eine Stelle, an der schwarze Pädagogik gepredigt wurde. Zum Kotzen. Weg damit. Brauche ich nicht mehr!

 

Alexandre Dumas! Hach, einer meiner früheren Lieblingsautoren. „Napoleon“ habe ich verschlungen (mag auch daran liegen, dass Napoleon Bonaparte eines meiner Spezialinteressen ist), „Der Graf von Monte Christi“ – großartig, liebte ich, in zwei Tagen habe ich es durchgelesen. Und nun: „Die drei Musketiere“. Ach, Du Scheiße! Nur theatralisches, histrionisches Gebaren. Nee, danke. Weg damit. Brauche ich nicht mehr.

 

Das war nur eine kleine Auswahl.

 

Was ich überhaupt noch lesen kann sind a) Fachbücher, b) manche Kinderbücher, c) alles zu meinen Spezialinteressen: Napoleon, Nietzsche, Transaktionsanalyse und d) solche Bücher wie die von Alice Miller, wobei das durchaus unter Fachbücher (Psychologie) fällt. Tolkien lese ich momentan und ich hatte nicht ein Mal den Eindruck, es weglegen zu müssen, weil es unerträglich ist, im Gegenteil.

 

Ja, so etwas geschieht, wenn man anfängt, ein wenig hinter die theatralische Fassade zu schauen. Auch meine Bücher sind oft so geschrieben, aber mein Schreibstil hat sich schon längst verändert. Diesen Preis habe ich für meine Entwicklung bezahlt. Zu Anfang dachte ich, ich könne nun gar nicht mehr schreiben, aber ich stelle fest, ich kann anders schreiben. Und das, was ich in meinem „Skarabäus“ schreibe, ist der Schreibstil, in dem es weiter geht. Er ist noch nicht ausgereift aber das wird schon.

 

Aber all den anderen Kram … den kann ich nicht mehr lesen! Weg damit. Brauche ich nicht mehr.

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Der Überzeugungsträger, aus: "Skarabäus"

(...)

 

Doch bevor er weiter darüber nachdenken konnte, sah er jemanden.

Dieser Jemand war damit beschäftigt, ein Loch in den Boden zu graben. Skarabäus war interessiert, er ging auf diesen Jemand zu, blieb aber auf Distanz stehen und sagte nichts. Der Jemand war ziemlich beschäftigt, als sei das, was er da tat, sehr sehr wichtig. Er tat es gründlich und ihm stand seine Anstrengung im Gesicht geschrieben. Als der Jemand in Skarabäus‘ Richtung sah, hörte er auf zu graben. Sein Gesicht war nicht nur angestrengt, es wirkte etwas gehetzt.

 

„Hallo“, sagte Skarabäus. „Ich bin Skarabäus.“

Der Jemand sah Skarabäus irritiert an.

„Ich habe hier noch nie jemanden gesehen“, sagte der Jemand.

„Noch nie?“

Der Jemand dachte nach und schüttelte dann den Kopf. „Nein, noch nie.“

„Was machst Du da?“, fragte Skarabäus.

„Ich stelle Schilder auf.“ Damit brach er den direkten Kontakt ab und arbeitete weiter.

Skarabäus kam etwas näher und sah, dass auf dem Boden ein Schild mit einem Holzstiel lag.

Auf dem Schild stand: Vorsicht! Gefahrenzone!

Der Wächter des Merkunwürdigen Waldes sah sich um, sah aber keine Gefahr.

 

„Was ist dort?“, fragte Skarabäus und zeigte auf einen weiter weg liegenden Bereich, der von hier aus wie eine Hügel- oder Berglandschaft aussah.

„Dort darfst Du nicht hingehen“, sagte der Jemand.

„Warum?“, fragte Skarabäus.

„Dieser Ort ist gefährlich.“

„Wer behauptet das?“

„Mein Vater.“

„Und woher weiß er das?“

„Von seinem Vater.“

 

Jetzt war Skarabäus irritiert. „Wer ist Dein Vater und wo kann ich ihn finden?“

Der Jemand hörte wieder auf zu arbeiten und starrte den Fragenden an, legte die Stirn in Falten.

„Das weiß ich nicht.“

Skarabäus zog kurz in Betracht, dass er selbst einen Hitzeschlag hätte, doch dann ließ er sich nicht beirren und sprach weiter:

„Ich verstehe, dort ist es gefährlich, aber das beantwortet meine Frage nicht. Ich will wissen, was dort ist und was ich dort finden werde!“

Der Jemand sprach abgehakt und arbeitete weiter, während er antwortete: „Dort leben die Krieger. Ziemlich sonderbare Gestalten. Und hässlich. Wirklich hässlich. Gruselig. Bis jetzt ist keiner zurückgekommen, der dort war.“

„Wer ist dort gewesen?“

„Mein Vater erzählte das mal.“

Skarabäus taufte den emsig Arbeitenden nun „Überzeugungsträger“, denn anscheinend hatte er selbst keine Ahnung, sondern plapperte nur nach, was ihm erzählt worden war.

„Komm doch mit“, schlug Skarabäus vor.

Der Überzeugungsträger lachte. „Bin ich wahnsinnig?“

„Ich weiß es nicht.“

„Nie und nimmer gehe ich da hin! Ich will doch nicht sterben.“

„Dann sind die Krieger gefährlich?“

„Oh ja, natürlich. Jeder, der ihr Land betritt, ist ein Feind. Und sie behandeln Feinde auch dementsprechend.“

„Und so meidet ihr alle hier das Land der Krieger und lebt getrennt voneinander?“

„Ihr alle? Ich weiß es nicht. Ich zumindest meide sie. Wen meinst Du mit ihr alle?“

„Die anderen. Die Kinder im Merkunwürdigen Wald, den Alten in der Hütte, die dunklen Wesen und wer hier noch alles lebt.“

„Ich kenne die alle nicht.“

„Wenn Du in die Richtung gehst aus der ich kam, wirst Du diese alle kennen lernen.“

„Nein, da gehe ich nicht hin! Das ist gefährlich!“

„Und ich nehme an, dass Dir das Dein Vater erzählt hat.“

„Ja, genau, und der muss es schließlich wissen, denn der hat es von seinem Vater.“

 

 

Dann arbeitete der Überzeugungsträger weiter. Skarabäus beobachtete ihn und er fühlte Traurigkeit in sich. Erst wollte Skarabäus gehen und ging auch schon ein paar Schritte fort, beschloss aber dann nochmals zu dem Überzeugungsträger zu gehen.

„Was ist eigentlich, wenn ich doch zurückkomme?“

Der Arbeitende hielt wieder inne und starrte Skarabäus an. „Ich glaube nicht, dass Du zurückkommst.“

„Aber wenn doch. Was ist dann?“

Der Überzeugungsträger sah sich um und schüttelte dabei den Kopf.

„Dann hast Du wahrscheinlich Glück gehabt“, meinte er.

„Ja … vielleicht.“

 

Skarabäus verließ den Überzeugungsträger und machte sich auf zu dem Land der Krieger. Er selbst trug keine Waffe bei sich. Er hatte nicht in Betracht gezogen, kämpfen zu müssen. Aber vielleicht müsste er auch gar nicht. Und wenn er sterben würde?

Nun ja, dachte Skarabäus, lieber sterben bei einer Erkundung, als ein Leben führen, welches aus Schilder aufstellen besteht.

 

Er dachte das einfach so … und dennoch wusste er, seitdem er Kaspel in seinem Turm getroffen hatte, dass der Überzeugungsträger hier war, weil Skarabäus hier war. Heißt: Er selbst trug diesen Teil in sich, und niemand sonst. Deshalb war er auch traurig gewesen. Und er wusste auch, warum der Überzeugungsträger tat, was er tat: Ansonsten würde ihn das heimsuchen, was in all ihnen lebte: Todesangst.

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Skarabäus und die Zeit

Als unser Wanderer erkannte, dass er genug Zeit hatte, war schon einiges von dieser Zeit ins Land gezogen. Nur der Schreiber dieses Buches und Murmelauge, seine Freundin aus dem Ort, aus dem er gekommen war, wissen es. Und – der Leser wird es vielleicht nicht glauben – es waren Jahre. Skarabäus selbst bemerkte es nicht. Er war ohne Uhr fort gewandert und hatte kein Interesse daran, die Tage zu zählen oder die Wochen. Sein Interesse lag nur in der Erkundung des Merkunwürdigen Waldes und seiner zahlreichen Bewohner. Ja, es ist so, dass die Zeit anders wahrgenommen wird, wenn man mit sich selbst wandert und alle anderen ausgeblendet werden wir Silhouetten in einer nebeligen Umgebung.

 

Was vordergründig immer wieder da war, und was nicht zu enden schien, war: Angst. Skarabäus war mit der Angst in seinem Inneren losgewandert und wurde sie als Weggefährte nicht los. Erst hatte sie ganz konkrete Züge gehabt: Die Angst davor, hässlich zu sein, zum Beispiel. Skarabäus, der spiegellos aufgewachsen war, hatte immer geglaubt, dass seine Eltern dies beschlossen hatten, weil er derart abstoßend war, dass er sein eigenes Spiegelbild nicht ertragen könnte. Erst im Tal der Spiegel hatte er sich selbst gesehen und festgestellt, dass er nicht abstoßend war. Das Aufwachsen ohne Spiegel war Flucht und Segen zugleich gewesen, denn – hätte er die Prüfung im Tal der Spiegel bestanden, wenn er sein Äußeres bereits gekannt hätte?

 

Die Spiegel-Prüfung, die doch nichts anderes sagte als: Egal in welchen Spiegel Du schaust, Du erblickst Dich selbst.

 

Andererseits – so dachte er bei sich; er dachte sowieso einiges auf seiner Wanderung – war es doch verwunderlich, dass er dies begriffen hatte, schließlich war er nicht nur mit der Überzeugung, hässlich zu sein, aufgewachsen, sondern auch mit der Überzeugung, dumm zu sein. Ja, geradezu strohdoof. Oft genug hatten es ihm seine Eltern und all die Dorfbewohner vermittelt: So einer wie Du … was kann der schon werden?

 

Und nochmals sonderbar, dass der Wächter des Tals der Spiegel so erstaunt gewesen war, als Skarabäus ihm gesagt hatte, er glaube, dumm zu sein.

 

„Du bist der Erste“, hatte das Ungeheuer gesagt: „Der Erste, der keine Angst davor hat, dass ich ihn fresse.“

 

Dennoch hatte Skarabäus so viel Angst, dass er, wenn diese Angst Wasser wäre, einen Ozean aus Angst erschaffen könnte. Er hatte versucht, vor ihr zu fliehen: Vergebens. Er hatte versucht, sie zu verdrängen: Vergebens. Er hatte versucht, mit ihr zu reden: Vergebens. Er hatte versucht, sie logisch zu widerlegen (er, der so strohdoof war …): Vergebens.

 

Eines Tages in all den Jahren, sagte er zu sich: „Ich kapituliere vor ihr. Sie lässt sich nicht erschießen, nicht gefangen nehmen, nicht wegdiskutieren, nicht wegdenken, nicht umgehen. Egal wo ich hinblicke, sie ist da, und ich sehe sie doch nicht.“

 

Ja, er sah sie nicht: Sie hatte keine Gestalt. Und wenn sie eine hätte … ach, Skarabäus wäre wohl auf sie zugesprungen und hätte sie verprügelt, bis sie endlich aufgehört hätte da zu sein, bis er gemeint hätte, dass sie nun genauso viel gelitten hätte wie er selbst (und dafür hätte sie viel einstecken müssen).

 

Aber sie war wie Nebel, sie war wie Wasser, sie war wie Luftfeuchtigkeit: Mit den Händen war sie nicht zu fangen, nicht aufzuhalten; er konnte nicht mit ihr reden und er konnte sich nicht vor ihr schützen. Manchmal fragte er sich, ob es nur einen einzigen unter den anderen Menschen gab, der diese Angst so kannte, wie er sie kannte, oder ob sie sich an ihn geheftet hatte und er alles abbekam.

 

Sie schlich sich in seine Gedanken und in seine Brust. Dort verweilte sie dann und erstreckte sich in alle Körperregionen. Manchmal fühlte sich Skarabäus müde und zermürbt, und manchmal hasste er alles, was diese Angst nicht spüren musste. Als er noch in dem Dorf gelebt hatte, welches von Bewohnern besetzt war, die permanent Angst hatten, die Grenzen ihres Dorfes zu überschreiten, hatte er es erlebt, wie diese Menschen Ratschläge gaben, wenn einer ein Problem hatte. Obwohl diese Dorfbewohner nicht mehr kannten als die paar Menschen und ihr Vieh auf der Weide oder ein paar Bäume am Rande des Ortes, gaben sie Ratschläge, als hätten sie Ahnung von der Welt und von sich selbst.

 

Jetzt, da Skarabäus mehr gesehen hatte als 99 Prozent der Dorfbewohner, wusste er, dass sie keine Ahnung hatten, was es bedeutete, sich selbst zu finden, sein Inneres zu erleben, seine Gefühle nicht mehr wegzudrängen, Risiken einzugehen, ja, den Tod herauszufordern, der – so glaubten zumindest die Meisten – eintreten würde, sobald sie nur einen Millimeter ihrer Dorfgrenze überschreiten würden.

 

Er, Skarabäus, der Wanderer und der Wächter des Merkunwürdigen Waldes, wusste, dass sie keine Ahnung hatten. Und dennoch … vielleicht ahnten sie manchmal, dass es noch etwas anderes gab als den strikten Ablauf von Routine; dass hinter den Viehweiden noch etwas anderes lebte als die Hölle. Bestimmt sogar, denn sonst würden sie nicht mit aller Kraft Argumente gegen ein Weggehen sammeln. Sie sagen dann: „Ach, es geht uns doch gut!“ oder: „Warum mehr wollen, warum nicht zufrieden sein?“

 

Aber das ist nichts für Skarabäus.

 

Er kannte diese Orte an denen er war nicht und andere schienen sie auch nicht zu kennen. Ratschläge gab es also nicht, denn hier war niemand zuvor gewesen. Er war auf sich allein gestellt.

 

Skarabäus hatte Zeit. Und die Angst hatte ebenfalls Zeit.

 

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Die Arena - aus "Skarabäus"

Es war eine Arena. Sie war zerstört. Man sah noch gut, wie sie einst ausgesehen haben musste. Die Tribünen waren fast gänzlich zerstört und die Steine lagen auf dem Boden herum. Der Arenaplatz war begehbar und weitestgehend frei von Geröll. Skarabäus ging langsam auf dem Platz umher und besah sich alles. Das Wesen blieb mitten auf dem Platz stehen und sah Skarabäus an.

 

„Wer kämpfte hier?“, fragte Skarabäus die Figur, doch sie grinste nur.

 

Sie warf Skarabäus eine Art Stock vor die Füße, doch Skarabäus hob ihn nicht auf und sagte: „Hier wird nicht mehr gekämpft.“

 

„Oh doch!“, sagte das Wesen und Skarabäus sah Wut in ihren Augen, aber auch … Zerstörungswille.

 

Das Wesen selbst hielt nichts in der Hand. Man sah ihre Hände gar nicht, da sie einen Umhang trug.

 

„Die Tribünen sind leer“, sagte Skarabäus, „es gibt keine Zuschauer mehr.“

 

„Das ist egal!“, sagte das Wesen, „es geht nicht um andere! Es geht um Dich und um mich!“

 

„Wer bist Du?“

 

Diese Frage bewirkte irgendetwas in diesem Teil des Merkunwürdigen Waldes, denn plötzlich kam ein stärkerer Wind auf.

 

Skarabäus selbst spürte Wut in sich. Er war es leid, Rätselrater zu sein.

 

„Wer bist Du?“, fragte er nochmals etwas schärfer.

 

„Ich bin Du!“.

 

„Nein.“

 

Das Wesen lachte und sagte: „Doch!“, dabei nickte es.

 

Skarabäus hob den Stock auf und warf ihn von sich, während er sagte: „Ich kämpfe nicht gegen mich selbst.“

 

„Wir werden sehen!“, sagte das Wesen und wich zurück.

 

Skarabäus bewegte sich nicht und betrachtete nur, wie das Wesen weiter zurück wich.

 

„Mehr könnt ihr nicht? Kindern Angst einjagen und zurückweichen. Ist das alles?“, fragte er, doch das Wesen antwortete nicht und verschwand.

 

 

 

Danach folgte eine lange Phase des stillen Nachdenkens. Skarabäus setzte sich auf den Boden neben Geröll und dachte nach. Es wurde dunkler und dann wurde es Nacht. Er schlief ein, angelehnt an einen etwas größeren Stein. Er empfand positive Müdigkeit, keine Erschöpfung.

 

Er schlief ein und als er aufwachte, wusste er nicht, wie spät es sein könnte. Skarabäus dachte darüber nach, wie es nun weiter ging und da kam ihm der Gedanke, dass er hier auch liegen bleiben könnte, für immer. Bis vielleicht irgendetwas passierte. Er seufzte leise und stand dann doch auf. Mit gefühlt angestrengten Augen sah er um sich und verließ dann den Arenaplatz.

 

Sein Blick war weitestgehend gen Boden gerichtet, während er weiter ging. Hie und da blieb er stehen und besah sich einen Stein. Grau wurde es, als gäbe es keine hellen Farben mehr. Dann blieb er stehen und sah zurück, während er dachte:

 

Ich habe es bis in den Merkunwürdigen Wald geschafft aber ich fühle mich nicht so, als hätte ich ein Ziel erreicht. Egal wo ich hingehe, ich treffe auf sonderbare Gestalten, auf Angst und graue Töne. Ich konnte durch den Bannkreis hindurch gehen und fand dort Gestalten, die Angst haben oder sich in Umhänge hüllen. Ich treffe einen alten, verbitterten Mann, einen reimenden Vogel und stoße auf eine zerstörte Arena, in der ich kämpfen soll. Wo soll das hinführen? 

 

Skarabäus sah wieder vorwärts und sagte laut mit einigen Unterbrechungen:

 

„Wann endet das? Wie lange soll ich noch gehen? Ich weiß schon gar nicht mehr, weshalb ich hier bin. Ich wollte ein Abenteuer und sehe keinen Sinn mehr darin, hier zu sein.“

 

Skarabäus stand wie versteinert dort. Er empfand Verzweiflung. Ein paar Mal zuckte er mit den Schultern und schüttelte leicht den Kopf, als wolle er sagen: Ich weiß es nicht, ich weiß es nicht.

 

Seinen Körper fühlte er gar nicht richtig. Er war wie abgeschnitten von ihm. Und dann wurde ihm die Dimension seiner Einsamkeit derart bewusst, dass es ihm die Luft abschnitt und er felsenfest davon überzeugt war, dass er an diesem Gefühl, welches wie ein Messer in sein Herz gerammt wurde, sterben würde. Skarabäus sah gehetzt um sich, doch nirgends gab es Halt, nirgends gab es die Möglichkeit, Hilfe zu erhalten. Er hätte nicht gewusst, welche Hilfe er bräuchte, wenn jemand da gewesen wäre. Er wusste nur, dass er dieses schreckliche Gefühl in dieser Heftigkeit auf keinen Fall spüren wollte. Er durfte es nicht! Denn es würde ihn umbringen. Er war sich ganz sicher: Wenn er die Tür zu diesem Gefühl auch nur einen spaltbreit öffnen würde, würde ihn eine Flut der Einsamkeit überrollen und nichts, aber auch wirklich gar nichts von ihm übrig lassen.

 

Skarabäus war außerstande, weiter zu gehen. In unmittelbarer Nähe lag ein großes Stück Stein, herrührend von der zerstörten Arena, herum; er kniete sich nah an diesen Stein, schlug die Hände vor das Gesicht und ließ die Welle der Einsamkeit über ihn rollen. Er war sich sicher, dass das sein Tod sein würde, aber er sah keine Möglichkeit, diesem zu entfliehen.

 

Es war schrecklich. Plötzlich war sein Körper wieder präsent und er fühlte eine starke Anspannung insbesondere in den Schultern. Niemals in seinem Leben hatte er eine derartige Heftigkeit des Gefühls gespürt. Vergangene Bilder drangen in sein Bewusstsein und verstärkten das Gefühl noch. Er war nicht mehr in der Realität, er vergaß Ort und Zeit, von außen drang nichts mehr zu ihm durch.

 

Dieser Zustand hielt länger an und das Gefühl brach sich wellenartig Bahn. Mal war es stärker, mal schwächte es fast gänzlich ab. Manchmal mischten sich auch Trauer oder Angst hinein. Und als sich keine stärkere Gefühls-Welle mehr in seinem Körper ausbreitete, wurde er etwas ruhiger und nahm die Hände vom Gesicht.

 

 

 

Als Skarabäus langsam wieder in die Realität zurückfand, wusste er, dass das nur ein Tropfen dessen gewesen war, was noch an Einsamkeits-Gefühl in ihm gespeichert war. Dennoch: Auch wenn er nicht alles an Einsamkeit, die in ihm präsent war, gefühlt hatte, fühlte er sich ein stückweit befreiter. Er stellte fest, dass dieses Gefühl schon immer in seinem Leben gewesen war, er dies aber stets verdrängt hatte. Es ging nicht darum, dass er heute, in diesem Moment einsam war, sondern darum, dass dieser Jetzt-Moment das Gefühl, das schon ewig in ihm war, ausgelöst hatte. So langsam begriff er, was es bedeutete, die Reise in den Merkunwürdigen Wald anzutreten: Es bedeutete, sich kennen zu lernen, und zwar in jeder Hinsicht. Skarabäus hatte erlebt, dass er mutig und ängstlich ist, dass er traurig und zuversichtlich ist, dass er gerne für sich alleine ist und fürchterliche Einsamkeit in sich trägt.

 

 

 

Er blickte angelehnt an den Stein ins Weite und nickte fast unmerklich. Nun hatte er es verstanden. Etwas Entspannung durchzog seinen Körper. Er atmete tief ein und beschloss, ein wenig weiter zu gehen. Langsam. Ruhig. Er hatte Zeit. Endlich … dachte er … habe ich Zeit.

 

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"Clio Grieger"

Einführung: Dies ist ein kurzer Einblick in meinen neuen Privatdetektiv-Roman mit der Hauptdarstellerin "Clio Grieger". Es ist das erste Mal (und somit eine Art Versuch), dass ich so etwas schreibe. Dieses Mal habe ich beschlossen, regionalen Bezug zu Bünde herzustellen.

 

 

Hier der Ausschnitt:

 

 

Clio bestellte einen Kaffee. Um diese Uhrzeit war das Café fast leer – so wie sie es mochte.

 

Hier redete niemand überflüssiges Zeug mit ihr – so wie sie es mochte.

Die introvertierte Mitarbeiterin des Cafés stellte eine rote Kaffeetasse auf den kleinen, schlichten Tisch. Clio bezahlte sofort – so wie sie es gerne tat.

 

Ein Mal war sie derart in Gedanken vertieft gewesen, dass sie vergessen hatte zu bezahlen. Auch an diesem Morgen war Clio in Gedanken vertieft. Sie stützte ihr Kinn mit der linken Hand und sah durch das Fenster auf die Straße, und sah doch die Straße nicht. Ein Außenstehender hätte behaupten können, sie träume. Aber sie ließ ihre Gedanken unkontrolliert fließen. In solchen Momenten – die sehr angenehm für sie waren – konnte sie stundenlang dasitzen und ihre Gedanken fließen lassen, wie einen ruhigen Bach. Die Außenwelt war separiert von ihr, sie betrachtete sie nur noch als Beobachter, wenn sie sie überhaupt wahrnahm.

 

Clio konnte von hier ein Stück Himmel sehen. Die Wolken zogen dahin, wie ihre Gedankenwelt. Sie dachte an das Mordopfer und ging im Geist durch das Zimmer der Toten. Sie schritt in ihrer Vorstellung an das Bücherregal und sie besah sich nochmals die Kleidung. Das Mordopfer und sie hatten zumindest den gleichen Kleidergeschmack, wenn man in diesem Fall überhaupt von „Geschmack“ reden konnte: Schlicht, dunkel, unauffällig. Sie dachte kurz daran, dass sie sich mal wieder eine neue Hose kaufen könnte, doch das war wahrlich ein marginales Problem.

 

Dann wurde Clio etwas unruhig. Es wurde Zeit, denjenigen aufzusuchen, der das Opfer womöglich als Letzter gesehen hatte. Sie trank den Inhalt der Kaffeetasse, stand auf, kontrollierte, ob sie alles bei sich hatte, und ging.

 

 

Copyright: Madelaine Kaufmann

 

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Der Bannkreis - aus: "Skarabäus"

(...)
Seine Angst war verschwunden. Zunehmend breitete sich Desinteresse aus. Skarabäus hatte keine Lust mehr, nebulösen Nebelschwaden hinterher zu jagen. Sollten sie doch zum Teufel fahren! Es war ihm gleichgültig.

Dann dachte er bei sich, hier liegen zu bleiben. Für immer. Nie wieder aufstehen. Warum auch?

Er nickte unmerklich. Er spürte Erleichterung bei dem Gedanken, aufzuhören, aufzugeben. Und dann entspannte er sich. Es war entschieden: Er wollte nicht weiter gehen. Es war vorbei.

Es war vorbei.

Als er das dachte, wurde er sehr müde und fiel in einen tiefen Schlaf.

(...)

Und dann war er wieder halb im wachen Zustand. Es war ein sanfter Übergang vom Traum zum Wachen. Fast so, als hätte er gar nicht richtig geschlafen.

Skarabäus sah etwas sich bewegen, doch er rührte sich kaum. Dann erschien ein Gesicht in seinem Blickfeld, welches sich vor seinem bewegte.

„Bist Du jetzt wach?“, fragte derjenige. Skarabäus schmunzelte ein wenig und sagte: „Ja.“

„Dann steh doch auf.“

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Der Träger - aus: "Innenwelt"

Ich tue, was ich kann.

Und deshalb trag ich Deine Sachen.

Sie mögen mir nicht passen

Und manchmal find ich’s selbst grotesk.

Dann steh ich da in langen Kleidern

Und diese Last erdrückt mich schier.

 

Ich tue, was ich kann,

deshalb muss ich es tragen,

damit kein andrer tragen muss.

Und manches Stück ist so uralt,

dass ich nicht weiß, woher es kommt.

„Ich trag es wohl“, sag ich bedrückt

Und werf auch dieses Teil mir über.

 

Ich tue, was ich kann,

damit ihr leben könnt.

An mir liegt nichts,

ich kann nicht viel,

deshalb bin ich ein Träger.

 

Ich trag es wohl!

Was sollte ich sonst leisten?

[Ich habe nichts zu geben]

 

Deshalb bin ich ein Träger:

Damit ich leben darf.

Und wenn ich’s nicht mehr kann …

…. Wer bin ich dann?

Und wenn ich nicht mehr will?

 

 

 

Copyright: Madelaine Kaufmann

 

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