Niemals

Sie hatte geglaubt, dass es einen Unterschied machen würde. Ob sie erfolgreich oder nicht erfolgreich war, ob sie etwas für andere bedeutete oder nicht. Sie hatte gedacht, es würde irgendeinen Unterschied machen. Es würde sie vielleicht zufriedener auf ihr Leben blicken lassen oder gar freundlicher auf sich selbst. Sie hatte geglaubt, dann würde sie sich nicht mehr geißeln, nicht mehr selbst quälen, könnte sich nun etwas ausruhen, müsste nicht rastlos bedenken, was noch zu tun war, um diesen Status zu halten.

Aber nun wusste sie: Je mehr sie danach strebte, ihre innere Leere zu füllen, desto abgebrannter blieb sie zurück.

Sie hatte es versucht.

Und manchmal ist es sinnvoller, ein Schlachtfeld als verloren anzusehen, als im sinnlosen Kampf weiterzumachen. Aber wie schmerzte dieses Bedenken. Sie sah sich um: Brach und grausam lag das verlorene Land. Im Inneren hörte sie andere lachen … sie auslachen. Und in ihr war eine Rachsucht, die nicht zu messen war. Doch jene, die lachten, waren nicht hier. Sie wussten nichts von dieser Schlacht. Sie waren daheim geblieben – in ihren bequemen Sesseln, hinter ihren Fassadensteinen, hinter ihrem Geschwätz aus abgefuckten Lügen, hinter ihren Floskeln und Phrasen. Feiglinge. Versager.

 

Was ging denen schon ihr Krieg an, nicht wahr?

Was hatten sie schon ganz vorne zu suchen?

Da, wo kein Schutz mehr ist. Da, wo Angst und Trauer den Körper lähmen, den Blick schärfen und den Puls im Auge sehen lassen?

Eine Angst … die so tief war, dass eine Genesung fragwürdig.

Eine Trauer … die so gleichbleibend floss wie Blut in den Adern, dass es kein Entrinnen gab.

 

Octavie wandte ihren Blick nach vorne. Die Alternative zum Weitermachen war klar. Und Sehnsucht nach dem Ende ergriff ihr Herz.

Nicht einen hatte sie hier getroffen.

Lauter Feiglinge lachten über sie. Sie, die den Weg ging, den keiner sich traute zu gehen.

Feiglinge, die sich nicht aufgemacht hatten, um sich selbst zu finden.

Feiglinge, die sich mit dem zufrieden gegeben hatten, was ihnen ihre leiblichen Eltern erlaubt hatten.

Feiglinge, die von Ferne andere bewerteten und nicht bemerkten, dass sowas auch Bewertung über sich selbst ist.

Feiglinge, die der Frage, was hinter jenen Bergen lag, nicht nachgegangen waren.

Octavia war traurig.

 

Sie hatte versucht, akzeptiert zu werden, aber sie hatte es nicht geschafft. Die Anforderungen waren nicht erfüllbar. Waren niemals erfüllbar. Sie hätte von Kopf bis Fuß eine gänzlich andere sein müssen – sie hätte sich zuvörderst zerstören müssen, um sich vollkommen umzugestalten. Aber auch dann wäre es sinnlos gewesen: Menschen akzeptieren andere nur, wenn sie sich selbst akzeptieren.

 

Ihre Trauer war fühlbar in der Herzgegend. Unangenehm, wie hohl. So, als würde etwas Zerstörtes nie wieder heilen. Es tat körperlich weh. Und dennoch war es gut so. Sie befürwortete es, denn dadurch sah sie klarer, kannte sie ihren Weg besser, konnte sie weitermachen.

Es ist gut, zu sehen, dass nichts an einem akzeptiert wird, dann lässt es sich leichter gehen. Octavia wünschte sich, sie hätten es deutlicher gesagt. Sie hätten es nicht so sehr versteckt und sie schleichend vergiftet. Sie wünschte sich, sie hätten ihr direkt den Krieg erklärt und wären nicht in einer nebligen Nacht aufgetaucht und hätten Bomben werfen lassen.

 

Aber wie es auch sei … Octavia blickte nach vorne und sah ihren besten Offizier. Er war handlungsbereit und wartete nur auf ein Zeichen ihrerseits. Sie brauchte nur nicken und die Welt würde untergehen. Sie brauchte nur eine Hand heben und er würde sich in Bewegung setzen, immer Richtung Feind, bis dieser ausgelöscht, vernichtet war.

Es mochte irgendwann … irgendwann nichts auf ihrem Grabstein stehen, kein Datum, kein Name, nur zwei Worte: Die Kriegerin.

 

Octavia sah ihren besten Offizier an und nickte. Ihre Hände, die ein Gewehr hielten, zitterten leicht, doch das hatte nichts mit ihrer Entschlossenheit zu tun. Wenn sie sich ein Mal entschieden hatte, dann war es entschieden. Mochte auch die ganze Welt gegen sie stehen.

 

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